Im Jahr 1903 präsentierte die Hamburger Firma J.F.G. Umlauff auf der “Deutsch-Kolonialen Jagdausstellung” in Karlsruhe neben einer Auswahl von Ethnografica aus deutschen Kolonien auch Jagdtrophäen. In der Afrika-Abteilung zeigte sie neben vier echten Gorillaschädeln zunächst das Foto eines 1901 präparierten ‘Riesen-Gorillas’. Während der Ausstellungsdauer konnte sie dieses um die eigens für die Jagdausstellung bestellte Dermoplastik eines weiteren Gorillas ergänzen – eine Präparationstechnik, bei der die echte Haut über ein plastisch nachgebildetes Modell des Tieres gezogen wird. Es handelte sich bei dem nachgelieferten Exponat um einen neuen “Riesen-Gorilla”, der “als zweites vollständig ausgewachsenes Exemplar nach Europa”2 gebracht worden sei, wie die Deutsche Kolonial-Zeitung schrieb. Die beiden 1901 und 1903 in dermoplastischer Technik aufgestellten Präparate führten den Gorilla als ‘Bestie’, als wildes und bedrohliches Tier vor – und folgten damit einer seit dem späten 19. Jahrhundert etablierten Ikonografie, die ein Gegenbild zu Darstellungen von Gorillas als friedliebende und soziale Tiere entwarf und sich bis in die Gegenwart hinein halten sollte.
Im Jahr 1901 hatten die Ethnografica- und Naturalienhändler Umlauff die spektakuläre Darstellungsform mitgeprägt, nachdem sie von einem Schiff die Haut und das Skelett eines Gorillas gekauft hatten, den der Kolonialbeamte Hans Paschen in Kamerun bei der Jagd geschossen hatte.
Bei der Herstellung der Dermoplastik, die zu Verkaufszwecken von einer gedruckten Broschüre über den ‘Riesen-Gorilla’ mit dem Jagdbericht und mehreren Fotos begleitet wurde, orientierte sich Wilhelm Umlauff an der bereits eingeführten Ikonografie des Gorillas als ‘Bestie’:3 Diese ging im Wesentlichen auf Reiseberichte des 18. und 19. Jahrhunderts zurück, in denen die größten Menschenaffen als furchterregende Gegner des Menschen dargestellt wurden, die sich auf die Hinterbeine erhoben und ihren Jägern an Größe und Körperkraft weit überlegen waren. Da sich die Tiere jedoch in der Natur nur für kurze Momente auf zwei Beine erheben, verwendete der Präparator einen Kunstgriff: Er ließ den Gorilla seinen rechten Arm auf eine Wurzel stützen, so dass er das aufgerichtete Tier in voller und den Menschen überragender Höhe zeigen konnte. An diese Überlegenheit in Körperkraft hefteten sich auch Fantasien des Raubs und der Vergewaltigung menschlicher Frauen durch Gorillas. Da zugleich der aufrechte Gang als Indiz für die Menschenähnlichkeit galt, klang in den Darstellungen des auf zwei Beine erhobenen Primaten auch die damals wissenschaftlich wie populärwissenschaftlich heiß diskutierte Frage mit, ob Menschenaffen und Menschen von einem gemeinsamen Vorfahren abstammten. Die kollektive Projektion richtete sich auf das fehlende Glied in dieser Abstammungskette, den missing link, der sich möglicherweise durch eine Kreuzung von Menschen und Menschenaffen herstellen ließe. Der Gorilla verkörperte damit nicht nur den wilden, animalischen, nicht sozialisierten Gegenspieler des Menschen als Symbol von Differenz, sondern markierte auch die in Bezug auf die menschliche Identität skandalöse Frage nach einer möglichen Verwandtschaft. Die Technik der Dermoplastik erlaubte es – anders als das frühere Ausstopfen von Tierhäuten mit Füllmaterial –, die Körperhaltung des Gorillas und sogar seine Gesichtszüge zu modellieren und in Bezug auf die gewünschte Wirkung zu gestalten. Das Foto der Dermoplastik veranschaulicht, wie der Gorilla als wildes und gefährliches Tier dargestellt wurde.
Dabei entwickelten sich zeitgleich bereits Gegenbilder, die eine Ikonografie des Gorillas als friedliches Tier entwarfen. Den Anfang machte in Deutschland der Gorilla “Mpungu”, der im Jahr 1876 lebend das Berliner Aquarium erreichte, wo er jedoch nur ein Jahr überlebte. Während sich die Betonung der friedlichen Züge des Tieres später bei dem bekannten Zoo-Gorilla “Bobby” fortsetzten,4 setzte Umlauff im Jahr 1901 dagegen wohl auch aus Verkaufsgründen auf die sensationsträchtigere Ikonografie. Kurz vor der Ausstellungseröffnung in Karlsruhe erhielt die Firma über Paul Matschie, Kustos der Säugetiersammlung am Zoologischen Museum Berlin und Mitglied des Karlsruher Ausstellungskomitees, Haut und Skelett eines zweiten Gorillas, den der im kolonialisierten Kamerun lebende deutsche Pflanzer und Sammler Georg Zenker erlegt hatte. Bei der dermoplastischen Aufstellung orientierte sich Wilhelm Umlauff an Skizzen und Fotos, die er sich von Matschie übersenden ließ. Ein erhaltenes Foto zeigt den Präparator mit den malerischen Vorlagen in der Hand und im weißen Atelierskittel, der seinen künstlerischen Anspruch unterstrich, neben seinem Werk: “Der Gorilla steigt von einer Wurzel herab; mit dem linken Arm hält er sich hinten an einem Baumstumpf; während der rechte halb gesenkt ist. Er ist nur 5cm kleiner als der erste.”5 Jener zweite ‘Riesen-Gorilla’ wurde demnach ebenso in aufgerichteter Haltung für die Karlsruher Ausstellung aufgestellt, um wirkungsvoll seine Größe und ‘Wildheit’ zu präsentieren.6 Nachdem der Jäger Georg Zenker Fotos des für die Schau hergerichteten Tieres bekommen hatte, kommentierte er in einem Brief an Umlauff, leider sei “sein Gesichtsausdruck nicht wild genug”. Denn die Realität habe anders ausgesehen:
“ […] daß [sic!] Maul aufgerissen, die Augen stierend, die Haare gesträubt, halb erhoben usw. ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, wie wild so ein Kerl aussieht, wenn er in Gefahr kommt. […] Es gellen mir heute noch die Ohren, und wenn ich daran denke, so bin ich immer froh[,] daß die Geschichte glatt ablief; und jetzt thut es mir leid, daß ich Ihnen es nicht vorher genauer beschrieben habe.”7
Der Jagdbericht bediente nicht nur das bereits aus früheren Texten seiner Art bekannte Motiv des Schreckens, sondern ließ auch den Jäger selbst als Held erscheinen.
Während also die Dermoplastik in Zenkers Augen das ‘Wilde’ nicht angemessen abbildete, wurden dessen Parameter – starrende Augen, aufgerissenes Maul, gebleckte Zähne – in einem Plakat umgesetzt, das die Firma Umlauff – vermutlich zur Erhöhung der Verkaufschancen – eigens für die Karlsruher Ausstellung hatte nachdrucken lassen, welches jedoch vermutlich Zenker in Kamerun nicht erreichte. Darauf zeigte sie neben dem Verweis ‘Neu ausgestellt’ den Kopf des Gorillas mit dramatischer Mimik.
Damit wurde die Trophäen-Ikonografie des Gorillas als Bestie fortgeschrieben, die zugleich als Legitimation zur Tötung der Tiere wie im übertragenen Sinne auch zur Unterwerfung der als ‘wild’ deklarierten Menschen in den Kolonien diente. Sie ließ sich in verschiedene Medien – Gemälde, Plakate, Dermoplastiken und später Filme wie King Kong und die weiße Frau (1933) – übersetzen und mit leichten inhaltlichen Varianzen versehen. Während das stereotype Bild des größten Menschenaffen als Bestie bis in die Gegenwart überlebt hat, ist die historische Verstrickung mit kolonialen Machtfantasien und Ausstellungskontexten heute weitgehend aus dem auch Blick geraten.
- Das Bild ohne Stempel von Wilhelm Kuhnert (der auch unter den Ausstellern in Karlsruhe war) findet sich ebenfalls in der Gorilla-Broschüre der Firma Umlauff abgedruckt. Vgl. Der Riesen-Gorilla des Museum Umlauff Hamburg: Schilderung seiner Erlegung und wissenschaftliche Beschreibung. Katalog. Hamburg: Adolph Friedländers Druckerei, 1901.↩
- “Deutsch-Koloniale Jagdausstellung in Karlsruhe”. Deutsche Kolonial-Zeitung 20, Nr. 29 (1903): 291.↩
- Vgl. Hans Werner Ingensiep. “Kultur- und Zoogeschichte der Gorillas: Beobachtungen zur Humanisierung von Menschenaffen”. In Die Kulturgeschichte des Zoos, Lothar Dittrich, Annelore Rieke-Müller und Dietrich von Engelhardt (Hg.). Berlin: VWB, Verl. für Wiss. und Bildung, 2001: 151-170.↩
- Vgl. Ingensiep, 2001: 153.↩
- J.F.G. Umlauff an P. Matschie, 09.06.1903, MfN, HBSB, ZM-S-III, Umlauff, J.F.G., Bl. 23.↩
- Die Firma Umlauff lieferte zusätzlich zu dem Gorilla Dermoplastiken weiterer Menschenaffenarten.↩
- G. Zenker an P. Matschie, 02.09.1903, MfN, HBSB, ZM-S-III, Zenker, G. und H., Bd. I, Bl. 220/221.↩