Fund: Ein Stapel alter Anhänger aus dem Zoologischen Garten Berlin, die meisten aus den 1920er und 30er Jahren, eingeheftet in einen Ordner im Archiv des Museums für Naturkunde Berlin, in dem Briefe zwischen dem Zoologischen Museum und dem Zoologischen Garten aus dieser Zeit abgeheftet sind. Die Etiketten, die den Tieren als ‘Begleitzettel’ mitgegeben wurden, wenn sie den Zoo nach ihrem Tod verließen, sind materielle Spuren der damaligen Beziehungen zwischen Zoo und Museum. Was können sie erzählen?
Sie deuten darauf hin, dass damals nicht nur vereinzelt Tiere vom Zoo ins Museum kamen. Bei genauerem Hinsehen fällt außerdem auf: Auf den Zetteln sind noch weitere Adressaten vermerkt, genauer gesagt Institutionen, die Stationen auf dem Weg der Tiere ins Museum bildeten. Die Etiketten markieren also neben dem Ziel ebenso die Wege der Tierkadaver quer durch Berlin.
Die einstmals mobilen Zettel dienten außerdem zu internen logistischen Absprachen zwischen diesen verschiedenen Akteuren. Häufig sind Instruktionen zur weiteren Verwendung vermerkt – ‘Mit der Bitte um Untersuchung und Überweisung an das Zoolog. Museum in der Invalidenstraße’, heißt es etwa. Der erste Weg eines Tieres nach seinem Tod führte meistens vom Zoo zum Pathologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule, wo es seziert wurde, um die Todesursache festzustellen.1 Anschließend sandte das Pathologische Institut das, was vom Kadaver nach der Sektion übrig war, zurück an den Zoo oder in dessen Auftrag weiter – an private Präparatoren oder wissenschaftliche Institutionen wie das Anatomische Institut, das Zoologische Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin oder eben das Zoologische Museum der Berliner Universität.2 Wie bei einem Puzzle lassen sich die Informationen zu einem Bild zusammenfügen, das ein lokales Beziehungsnetz abbildet. Auch wenn es lückenhaft bleibt, werden hier wichtige Akteure sichtbar, die im frühen 20. Jahrhundert in die Weiterverwertung oder Entsorgung von Zootieren in Berlin eingebunden waren.
Auf der Rückseite der Etiketten konnten Informationen über Gattung, Herkunft und Todesursache der Tiere eingetragen und übermittelt werden, damit das Museum seine Tiere verzeichnen konnte. Abessinien, Ceylon, Südamerika sind häufig zu lesen. Die Zettel machen damit nicht nur ein lokales Netzwerk sichtbar; sie verweisen zugleich zurück auf den globalen Tierhandel und Tierfang, und Bezeichnungen wie Abessinien und Ceylon machen klar, dass es sich um ein koloniales Netzwerk handelte.
Mindestens genauso entscheidend wie die Informationen, die auf den Etiketten vermerkt sind, ist aber auch, was nicht verzeichnet ist. So detaillierte Angaben wie auf diesem Etikett hier waren eher die Ausnahme.
Häufig blieben Zeilen leer oder die Informationen sehr allgemein.
An den Zetteln lässt sich so nicht nur das Wissen ablesen, das an das Museum übermittelt wurde, sondern auch die Wissenslücken.3 Diese verweisen nicht zuletzt auf die Unterschiede zwischen Zoos und Museen – in Zoos wurden nicht zwangsläufig so viele und nicht so genaue Daten über ein Tier gesammelt wie in naturkundlichen Sammlungen. Dafür waren auf den Etiketten häufig zusätzliche (Gebrauchs)Anweisungen vermerkt.
Instruktionen wie ‘Bitte Decke und Schädel dem Museum überweisen’ geben Hinweise darauf, wie mit den Objekten verfahren wurde und wofür sie verwendet wurden, also auf die Gebrauchspraktiken wie sie etwa auch in den Tagebüchern des Zoologischen Museums vorkommen. Auch hier gab es Verzögerungen, Unfälle und Missverständnisse. Gerade sie verraten uns etwas über die Herausforderungen, die damals beim Transfer vom Zoo ins Museum und bei der Transformation von einem lebenden Zootier in ein präpariertes Museumsobjekt auftreten konnten; an welchen Stellen Wissenstransfers funktionierten oder aber Informationsflüsse stockten.
- Seit Gründung der Freien Universität Berlin 1960 übernahm die Veterinärmedizinische Fakultät der Universität die Sektion oder das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW).↩
- Vgl. MfN, HBSB, S004-02-05, Nr. 97.↩
- Es kann natürlich sein, dass diese Informationen in mitgelieferten Objektlisten in Korrespondenzen geliefert wurden (vgl. etwa MfN, HBSB, S004-02-05, Nr. 97); dennoch scheint die Tatsache, dass auf manchen Etiketten detaillierte Informationen eingetragen sind, darauf hinzudeuten, dass sie in den anderen Fällen nicht vorlagen.↩