Tiere verzeichnen

Story Objekttransfer und Listenverkehr zwischen Zoo und Museum

Handgeschriebene Seite in einem Heft mit zerfledderten Kanten. Lange Liste in alter Schreibschrift mit Daten, Artnamen, und Geldbeträgen pro Zeile.

Verzeichnis der 1914 bis 1915 vom Zoo-Aquarium an das Naturkundemuseum gelieferten Reptilien und Amphibien mit Preisangaben (MfN, HBSB S III, Zoolog. Garten, Bd. 1. Alle Rechte vorbehalten).

Eine Liste mit Tiernamen und Datumsangaben, daneben verschiedene Zahlen, handschriftlich und wenig akkurat, mit Durchstreichungen und nachträglichen Überschreibungen – man sieht dem ‘Verzeichnis der vom Aquarium vom 1. April 1914 bis zum 31. März 1915 gelieferten Reptilien u. Amphibien’ aus dem Archiv des Museum für Naturkunde an, dass das Blatt in Benutzung war, dass es beschrieben und wieder verändert wurde, vielleicht sogar durch mehrere Hände ging. Warum es lohnen kann, solch eine Liste aus dem frühen 20. Jahrhundert unter die Lupe zu nehmen? Weil wir durch sie etwas über das Nachleben von Zootieren in naturkundlichen Sammlungen, über ihre Transformation in Museumsobjekte erfahren können. Zusammen mit Präparationstechniken, gehören Praktiken des Verzeichnens damals wie heute zur naturkundlichen Sammelpraxis, durch die Tiere - unter anderem - zu Ausstellungsobjekten, zu Forschungsobjekte oder Lehrmodellen werden. Eben dieser Übergang ist am ‘Verzeichnis abgelieferter Tiere’ ablesbar, denn erst dadurch, dass die Tierkörper im Museum in Eingangskatalogen oder Bestandslisten erfasst, mit einer Inventarnummer und – in diesem Fall – einem Preis versehen wurden, gingen sie in den Besitz des Museums über, wurden Teil einer Sammlung oder Ausstellung und erhielten dort neue Funktionen, kurz: dadurch wechselten sie den Status von einer Zooattraktion zum Sammlungsobjekt. In der Sammlung wurden die Präparate ebenfalls mit Hilfe von Eingangskatalogen und Inventarkatalogen verwaltet. verwaltet. In den Listen bildet sich die Wissensordnung einer Sammlung ab. Nicht nur das: als sammlungsorganisatorische Werkzeuge erzeugen und strukturieren sie diese Ordnung selbst mit.

Vor allem aber sind Listen wie das Verzeichnis für die gemeinsame Geschichte von Zoo und Museum interessant. Indem sie den Austausch zwischen beiden organisierten, sind sie wichtige Quellen für eine Beziehungsgeschichte des Zoologischen Gartens und des Zoologischen Museums in Berlin im frühen 20. Jahrhundert. Wie funktionierte damals der Transfer von Tieren, der Austausch von Informationen und die Aushandlung von Werten? Welche Zootiere kamen überhaupt ins Museum, wie wurden sie zu Sammlungsobjekten und wie wurde ihr Wert festgelegt? Darauf können Dokumente wie das ‘Verzeichnis abgelieferter Tiere’ Hinweise liefern. Manchmal sind sie die einzigen noch vorhandenen Spuren.

Objekttransfer und Listenverkehr

Im Jahr 1915 konnten der Berliner Zoo und das Naturkundemuseum bereits auf eine gut 70-jährige gemeinsame Geschichte zurückblicken. Seit ihren Anfängen waren sie institutionell und personell eng verbunden, wie zum Beispiel in der Person des Zoologen Martin Hinrich Lichtenstein, seit 1813 Direktor der Sammlungen des Zoologischen Museums und ab 1844 auch Leiter des neu eröffneten Zoos. Das Museum, das eine möglichst vollständige Erfassung der Weltfauna anstrebte, übernahm aus dem Zoo von Anfang an zahlreiche Vögel und Säugetiere. Ab 1913, als im Zoo ein Aquarium errichtet wurde, kamen Fische, Insekten, Amphibien und Reptilien dazu.

Das Verzeichnis gibt einen Einblick, was für Tiere das Zoo-Aquarium kurz nach seiner Eröffnung 1913 hielt. Dabei handelt es sich freilich nur um einen kleinen Ausschnitt; genauere Informationen zum Tierbestand des Aquariums sucht man besser im Zooarchiv, das ein weitaus vollständigeres Bild bietet. Was das ‘Verzeichnis abgelieferter Tiere’ dagegen vermitteln kann, ist ein Eindruck davon, welche der Aquariumstiere im Jahr 1914 nach ihrem Tod ins Museum gelangten (und damit anscheinend nur kurze Zeit im 1913 eröffneten Aquarium überlebt hatten), welche Tiere also ein Nachleben als Sammlungs- oder Ausstellungsobjekte führten – darunter Grottenolme, Leguane, Schlangen und Schildkröten. Freilich waren der Zoo und das angegliederte Aquarium nicht die einzigen Bezugsquellen für das Museum; darauf deutet auch die nicht allzu hohe Anzahl der überwiesenen Tiere. Teilweise bevorzugten die Museumskustod:innen sogar Material von Expeditionen, Sammler:innen und aus anderen Museen – darauf wird später noch zu kommen sein. Dennoch war der örtliche Zoo zu dieser Zeit wie in vielen anderen Städten eine wichtige Bezugsquelle und umgekehrt das Museum für den Zoo ein regelmäßiger Abnehmer von Tierkadavern. Wie lief dieser Transfer damals ab?

Preise und Werte aushandeln

Den Austausch zwischen beiden Institutionen kann man sich ungefähr so vorstellen: Der Zoologische Garten schickte dem Museum regelmäßig Listen von kürzlich gestorbenen Tieren. Solche Angebotslisten waren meist zum rein internen Gebrauch, für direkte Absprachen zwischen Zoo und Museum bestimmt. Mit ihrer Hilfe wählten die verschiedenen Teilsammlungen im Museum jeweils aus, was sie gebrauchen konnten, wobei bestimmte Exemplare begehrter waren, besonders wenn es sich um seltene oder schwer zu bekommende Arten handelte.

Hinweise auf den damaligen Wert einzelner Tierkadaver liefert das Verzeichnis von 1914 ebenfalls. Dort sind nämlich nicht nur die Artnamen der eingehenden Tiere vermerkt und wann sie vom Zoo ins Museum gelangten. Die Liste deutet zugleich auf die unterschiedlichen Formen des Austauschs zwischen den beiden Institutionen hin. Sie zeigt, wie sich Gaben-, Handels- und Tauschökonomien überlagerten, denn der Zoo bot dem Museum manche Tiere als Geschenk, andere als Tausch- oder Kaufobjekte an. Während der Zoo einen Großteil der Tiere unentgeltlich ans Museum abgab, mussten für die zu kaufenden Tiere zunächst Preise und Wert festgesetzt werden.1 Die Preisabschätzung überließ der Zoo weitgehend dem Museum, wo die Taxierung dem Direktor oblag, der diese Aufgabe jedoch meistens an die jeweiligen Sammlungskustod:innen delegierte.2 Manche Tierkörper wurden zuerst zur Inspektion ins Museum geschickt, über die meisten wurde aber anhand von Listen entschieden. Wenn der Zoo mit dem Preisangebot des Museums einverstanden war, brachte üblicherweise ein Fuhrwerk des Zoos die Tierkadaver einzeln oder zu mehreren ins Museum, wo sie inventarisiert und taxiert wurden.3

Obwohl in den meisten Fällen der Zoo den Preisvorschlag des Museums akzeptierte, kam es vor, dass Uneinigkeit über den Wert eines Exemplars bestand. Dann musste, wie aus den Korrespondenzen der beiden Institutionen hervorgeht, erneut verhandelt werden, bis man sich für oder gegen eine Übernahme entschied. Spuren dieses Prozesses sind im Verzeichnis in den durchgestrichenen und überschriebenen Zahlen und dem Hinweis ‘Die rechts stehenden, nicht durchgestrichenen Werte gelten’ sichtbar. Die Listen schaffen sowohl Ordnung als auch Besitzverhältnisse; sie zeigen, wie die Dinge mit Bedeutung und Wert versehen wurden.

Im Vergleich zu diesen Listen wurden in den Rechnungen über die abgelieferten Tiere dagegen die Informationen akkurater eingetragen. Hinter manchen Tiernamen und Werten wurden hier bereits Inventarnummern notiert, was aus einem Zootier endgültig ein Sammlungsobjekt macht.

Allerdings wurden nicht alle Tierkörper, die aufgelistet waren, tatsächlich verwendet. Solche, die mit dem Vermerk ‘unbrauchbar’ versehen waren, erhielten keine Preise. Ob sich der Vermerk ‘unbr[auchbar]’ auf den schlechten Konservierungszustand der Tierkadaver bezog oder auf den Umstand, dass das Museum das entsprechende Exemplar nicht benötigte,4 lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Was die Rechnungen des Zoos an das Museum aber deutlich machen, ist die Tatsache, dass es Verhandlungen und eine Prüfung der Objekte gab – und ebenso einen überschüssigen Rest, der nicht im Museum blieb.

Ob ein Zootier für das Museum brauchbar war und welcher Preis bezahlt wurde, hing von verschiedenen Faktoren ab. Für 1914 wissen wir zumindest, dass der Wert für ein totes Zootier mit zehn Prozent des Wertes des lebenden Tieres angesetzt wurde.5 Der Preis, den das Museum zu zahlen bereit war, hing aber auch vom physischen Zustand des Tieres und von seiner Seltenheit ab. Was rar war, war begehrt, denn Gefährdung und Aussterben erzeugten eine Knappheit, die den Wert eines Tieres oder einer Art steigerten.6 Als der Zoo 1914 dem Museum Fell und Skelett seines letzten Davidshirsches anbot,7 setzte das Museum einen Wert von 20 Mark an. Zoodirektor Heck antwortete, das Tier sei mindestens 200 Mark wert, denn dies sei:

“der letzte Davidshirsch [gewesen], der noch in einem Zoologischen Garten gelebt hat. Daß es sich hier um eine in ihrer Heimat allem Anschein nach vollkommen ausgerottete Tierart handelt, ist Ihnen gewiß ebenso gut bekannt, wie uns. […] Wir würden uns nicht gewundert haben, wenn Sie das Zehnfache, M 200, angesetzt hätten; denn wir glauben nicht, daß Sie noch einen Davidshirsch erhalten werden […].”8

Der Wert hing aber nicht nur von der Anzahl der Tiere in freier Wildbahn ab, sondern auch von der Anzahl der Exemplare derselben Spezies, die eine Sammlung bereits besaß. Hier war das Zoologische Museum der Berliner Universität in einer guten Position: Unter den deutschen Naturkundemuseen hatte das Berliner Haus zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der umfangreichsten Sammlung und dem Standort in der Reichshauptstadt eine herausgehobene Stellung und erhob Anspruch auf eine führende Position. Säugetierkustos Paul Matschie lehnte daher das Angebot des Zoos für den Davidshirsch ab.

Wissensdurst

Informationen waren eine wichtige Währung im Austausch zwischen Zoo und Museum, gerade bei den verschiedenen Formen von Tauschbeziehungen, die neben dem Kauf von Objekten existierten. Es kam vor, dass der Zoo im Museum Tiere präparieren ließ (meist handelte es sich um Geschenke für Aufsichtsräte, aber auch um Präparate, die verkauft werden sollten), wofür das Museum wiederum andere Exemplare als Gegenleistung erhielt.9 Häufiger aber wurden Objekte gegen Wissen getauscht. Der Zoo profitierte vom spezialisierten taxonomischen Wissen der verschiedenen Sammlungsmitarbeiter:innen des Museums und sandte Tierkadaver dorthin, um sie bestimmen zu lassen, wofür die jeweilige Museumssammlung im Gegenzug gewünschte Tiere erhielt.10 1913 etwa schrieb der Kustos und spätere Direktor des neu eröffneten Zoo-Aquariums Oskar Heinroth dem Museum:

“Anbei Insekten aus New-Orleans oder Nord-Mittelamerika. Darf ich um den ungefähren Namen der Heuschrecken bitten? Sind die Dinge etwas wert?”11

Hier zeigt sich, dass die Tiere als Objekte behandelt und in wissenschaftliche oder wirtschaftliche Ökonomien eingebunden waren. Ihr Wert – sowohl der wissenschaftliche wie auch ihr Handelswert – hing wiederum wesentlich von der Neuheit oder Seltenheit der Art ab. Was den vermeintlich letzten in einem Zoo lebenden Davidshirsch angeht, den Zoodirektor Ludwig Heck dem Museum 1914 für 200 Mark anbot, notierte Matschie, er bezweifle, dass die Art ausgerottet sei. Dadurch entkräftete er das Argument eines ‘Letzten seiner Art’ und bot nur noch 20 Mark.12 Die Übernahme von Tieren basierte somit auf einem spezifischen Wissen, das sich als Währung in der Festlegung von Wert und Preis eines Tieres erwies.

Für das Museum waren Informationen über die ihm angebotenen Tiere ebenfalls wichtig, wenn auch auf andere Weise als für den Zoo. Die Sammlungen im Museum für Naturkunde brauchten zu jedem Tier so detaillierte Daten wie möglich. Insbesondere Informationen zum Fundort waren für den wissenschaftlichen Wert unentbehrlich. Viele Naturkundemuseen verfassten daher bereits im 19. Jahrhundert eigene Anleitungen für Sammler:innen im Feld, die genaue Instruktionen enthielten, wie Etiketten zu beschriften und Frachtbriefe zu erstellen seien, etwa mit Informationen zu Sammler:in, Fundort und Datum.13 Da diese Informationen für Zoologische Gärten und für Tierhändler scheinbar zu vernachlässigen waren, gab es dort wenig standardisierte Vorgaben und entsprechend wenig einheitliche oder ausführliche Angaben.14 Wie spärlich die vorliegenden Informationen häufig waren, zeigen unter anderem die Etiketten, die den Zootieren als Begleitzettel mitgegeben wurden, wenn sie ans Museum abgeliefert wurden.

Gelochtes Papierschild mit Vordruck oben: Zoologischer Garten Berlin. B5 Barbarossa 9041. Gedruckte Nummer unten: 780. "An: Museum".

Gelochtes Papierschild mit vorgedruckten Überschriften und handschriftlichen Einträgen. Tiergattung: Herkunft: Ceylon. Todesursache: (kein Eintrag).

Etikett für den Tiertransfer vom Zoo ins Zoologische Museum mit (spärlichen) Informationen. (MfN, HBSB, S004-02-05, Nr. 96, Bl. 022 verso; MfN, HBSB, S004-02-05, Nr. 96, Bl. 105 recto. Alle Rechte vorbehalten.)

Die Museumskurator:innen mussten daher in vielen Fällen den Zoo erneut kontaktieren, um das Ankunftsdatum eines Tieres im Zoo und bestenfalls Informationen über den Fangort oder wenigstens die Händler oder Sammler:innen in Erfahrung zu bringen.15 Wieder wurden Listen hin und her geschickt, in die der Zoo die ihm bekannten Daten über die Fundorte eintragen sollte. Da letzterer diese Fragen anhand der eigenen Verzeichnissysteme wie den Journalen und der Steinmetz-Kartei, häufig aber selbst nicht oder nicht vollständig beantworten konnte, mussten die Museumskurator:innen oft noch weitere Provenienzforschung betreiben und Händler, Tierfänger, Lieferanten oder Zwischenhändler anschreiben, um die Referenzkette zurückzuverfolgen. An dieser Stelle wird das lokale Netzwerk wieder global und verweist zurück auf weltumspannende Handelsnetzwerke und Lieferketten. Denn ein beträchtlicher Teil der Tiere im Berliner Zoo stammte in dieser Zeit von etablierten und global agierenden Tierhandelsfirmen wie Ruhe in Alfeld, J.F.G. Umlauff in Hamburg und Carl Hagenbeck in Stellingen. Seit dem späten 19. Jahrhundert engagierten diese Unternehmen Tierfänger:innen in den deutschen Kolonien, sowohl Europäer:innen als auch lokale Vermittler:innen. Diese Händler erhielten immer wieder Anfragen von Naturkundemuseen, wie etwa 1932, als sich Hermann Pohle, Matschies Nachfolger als Leiter der Säugetiersammlung, bei der Firma Hagenbeck nach dem Fangort einer Elefantenkuh namens “Mary” im Sudan erkundigte. Der Berliner Zoo hatte das Tier 1888 von Hagenbeck gekauft und es nach seinem Tod 1924 ins Museum überstellt.16 Die Antwort von Ludwig Zukowsky, Mitarbeiter der Firma Hagenbeck, sagt viel über die damaligen Informationsinfrastrukturen aus – welche Daten im Feld aufgezeichnet und weitergegeben wurden und welche über weite Strecken oder im Laufe der Zeit verloren gingen. Obwohl Hagenbeck wie auch die meisten Tierhändler interne Inventarbücher führten, merkte Zukowsky an, dass, “Ihnen die knappen Mitteilungen über die Herkunft unserer Tiere oftmals nicht viel [werden] nützen können”.17 In Bezug auf den Elefanten antwortete Zukowsky daher:

“Aus den Büchern meiner Firma geht leider nur hervor, dass das Stück mit einem ‘Sudan-Transport’ nach Hamburg gelangte. Da aber Menges [einer von Hagenbecks Tierfängern] seine Fangreisen meist von Kassela aus vornahm und bereits im weiteren Umkreise dieses Ortes vielfach gute Fangresultate hatte, ist wohl anzunehmen, dass das Stück aus der dortigen Gegend stammte.”18

Die Auskünfte blieben spärlich und vage. Wie sonst ließ sich an Informationen kommen? Zukowsky verwies Pohle auf Aufsätze in Fachzeitschriften, die man nach Informationen über einzelne Fangexpeditionen durchforsten könne:

“Ich möchte auch annehmen, dass Menges über seine damaligen Fangresultate im ‘Zoologischen Garten’ berichtete. […] Vielleicht lassen Sie daraufhin einmal einige Jahrgänge durchsehen.”

Häufig wurden Informationen aber nur mündlich weitergegeben. Was nicht aufgeschrieben wurde oder auf individuelle Erinnerungen angewiesen war, drohte im Laufe der Zeit, etwa im Wechsel zur nächsten Generation von Mitarbeiter:innen, nicht weitergegeben zu werden:

“Ausserdem sprach Matschie in Bezug auf die Herkunft der Elefantenkuh ‘Mary’ stets vom ‘oberen Atbaran’. Er muss – vielleicht vom alten Hagenbeck oder von Menges – doch einmal eine entsprechende Mitteilung erhalten haben.”19

Die fragmentierten Lieferketten des globalen Tierhandels, mit einer Vielzahl von Akteur:innen, Quellen und Wissensformen, aber ohne standardisierte Formen der Aufzeichnung, beeinflussten, wie welche Informationen an wen weitergegeben wurden. In anderen Fällen wurden erst gar keine Daten aufgezeichnet, da für die Händler, ähnlich wie für den Zoo, präzise Angaben über den Fangort nicht entscheidend waren – während das aus Sicht der Sammlungskustod:innen eine unvollständige Datenlage bildete. Verschiedene Arten von Informationen und Inskriptionen hatten für die Händler als kommerzielle Unternehmen und für das Museum als wissenschaftliche Institution unterschiedliches Gewicht und unterschiedlichen Wert. Die Art und Weise, wie Daten aufgezeichnet, weitergegeben und aufbewahrt wurden, hing von disziplinären Standards, institutionellen Zwecken und praktischen Gründen ab und hat umgekehrt wiederum die Wissenschaftlichkeit oder zumindest den Anspruch darauf beeinflusst. Kurz: Verschiedene Bedürfnisse erforderten und prägten unterschiedliche Aufzeichnungspraktiken.

Diese Unterschiede stellten das Zoologische Museum vor Probleme, die manchmal erst Jahre später zu Tage traten. Das lag vor allem daran, dass häufig Tierkadaver, die der Zoo an das Museum ablieferte, dort erst Monate oder sogar Jahre später inventarisiert und wissenschaftlich bearbeitet wurden. So kam es, dass die Museumskustod:innen vom Zoo zum Teil Informationen zu Tieren erfragten, die bereits lange zuvor ins Museum und noch weitaus früher in den Zoo gelangt waren. In manchen Fällen wurde dadurch die Rekonstruktion des genauen Fangortes noch weiter erschwert.

Das zeigt abermals die Elefantenkuh “Mary”, die nach ihrem Tod 1924 vom Berliner Zoo ins Zoologische Museum kam. Als sich der Museumskurator Hermann Pohle 1932 beim Tierhändler Hagenbeck nach Informationen zu dem Tier erkundigte, lag der Import aus dem Jahr 1888 inzwischen 44 Jahre zurück. Die Schwierigkeit bestand nun nicht nur darin, Personen oder Aufzeichnungen zu finden, die über den damaligen Import informierten. Das Problem lag zugleich auf wissenschaftlicher Ebene. Aus zoologischer Sicht waren eine möglichst vollständige Aufzeichnung, insbesondere Informationen zum Fund- oder Fangort, im Laufe dieser 44 Jahre immer wichtiger geworden. Zukowsky schrieb indes über “Mary”:

“Eine so genaue Herkunftsangabe, wie sie der heutigen Systematik für ihre Untersuchungen erwünscht ist, dürfte sich für den Typus von L.a.oxyotis [gemeint ist der Sudan-Steppenelefant mit dem lateinischen Namen Loxodonta africana oxyotis] wohl kaum jemals finden lassen.”20

Ende des 19. Jahrhunderts folgte man nämlich noch überwiegend einer Systematik, nach der alle Steppenelefanten Afrikas (mit zwei Ausnahmen) zu oxyotis gerechnet wurden. Eine eindeutige Zuordnung und der genaue Fangort waren damit kaum rekonstruierbar. Hier werden historische Veränderungen in der taxonomischen Praxis sichtbar, die die Dynamik der Forschungskulturen widerspiegelten und die nicht zuletzt auch die Informationsinfrastrukturen und Aufzeichnungsweisen veränderten. Was für das Museum eine wissenschaftliche Hürde bedeutete, wurde für den Zoo vor allem zur bürokratischen Herausforderung. Denn die Suche nach und Zusammenstellung von Informationen über Tiere aus früheren Jahrzehnten stellte für die Mitarbeiter:innen eine durchaus zeitraubende Recherche dar. Auf einen der zahlreichen Briefe, in denen sich der Säugetierkustos Hermann Pohle wieder einmal nach der Herkunft diverser Tiere erkundigte, antwortete der Zooangestellte Georg Steinbacher 1935 an Pohle daher:

“Ich habe Ihre Tierliste erhalten und bin ganz entsetzt, wie lang sie ausgefallen ist. Ich brauche mehrere Tage anstrengender Arbeit, um die genaueren Angaben über die darin enthaltenen 180 Tiere zusammenzustellen.”21

Die Nachwirkungen sind bis heute spürbar, nicht zuletzt bei dem Versuch, die Herkunft und Geschichte von Zootieren zu rekonstruieren, die im frühen 20. Jahrhundert ins Museum gelangten. Das gilt für Sammlungskustod:innen ebenso wie für Historiker:innen – entweder sind nicht genügend Informationen auffindbar oder die konservierten Tiere warten noch auf eine Aufarbeitung. Es mag sich daher für die Sammlungskustod:innen im Jahr 2021 bisweilen ähnlich wie für Steinbacher 1935 anfühlen, wenn sie Anfragen zu Objekten in ihrer Sammlung erhalten. Beides, die Aufarbeitung vorhandener Bestände und die Inventarisierung neu eintreffender Objekte gehört jedenfalls weiterhin zu den unverzichtbaren, wenn auch wenig wahrgenommenen, mühsamen Arbeiten in Sammlungen – auch wenn heute die Abgaben zwischen Zoos und Museen vornehmlich in Datenbanken erfasst und wenn der damit verbundene Austausch von Informationen zwischen den Institutionen weitgehend digital verläuft. Ob aber analog oder digital, kein Zoo und kein Naturkundemuseum kommt ohne Listen, ohne die Verzeichnung seiner Tiere aus; und keine Geschichte, die die Beziehungen dieser Institutionen erforschen will, kommt um den archivierten Papierkram von damals herum.


  1. Im Zoologischen Museum überwogen Schenkungen bei weitem im Vergleich zu Ankäufen: 1902 verzeichnete das Museum 932 Schenkungen und 547 Ankäufe; 1908 waren es 2.413 Schenkungen gegen 1.145 Ankäufe; 1913 standen 3.127 Schenkungen 870 Ankäufen gegenüber; vgl. Renate Angermann. “Die Säugetierkollektion des Museums für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin”. Säugetierkundliche Informationen 3, Nr. 13 (1989): 47-68.
  2. K.A. Möbius an das Ministerium für geistliche Angelegenheiten, 27.2.1889, in: MfN, HBSB, Zool. Mus. S III, Zoolog. Garten I, Bl. 25; L. Heck an das Zoologische Museum 01.01.1890, in MfN, HBSB, Zool. Mus. S III, Zoolog. Garten, I, Bl. 32.
  3. Das Aquarium lieferte dem Museum damals die Tiere meist kostenfrei ins Haus. Sie wurden in der Regel als Sammelsendung mit einem Fuhrwerk des Zoos transportiert; in eiligen Fällen schickte das Museum selbst einen Boten; vgl. O. Heinroth an A. Brauer, 15.04.1915, MfN, HBSB, Zool. Mus. S III, Zoolog. Garten I; Zoo Berlin an das Naturkundemuseum, 06.08.1925, MfN, HBSB, S004-02-05 Nr. 97.
  4. Das konnte unterschiedliche Gründe haben, wenn etwa die jeweilige Sammlung bereits genügend Exemplare dieser Art hatte oder wenn das Tier aufgrund des physischen Zustands nicht (mehr) zu Präparations- oder Ausstellungszwecken geeignet war.
  5. Vgl. etwa L. Heck an A. Brauer, 10.06.1914, MfN, HBSB, Zool. Mus. S III, Zoolog. Garten I.
  6. Zur Ökonomie der Knappheit am Beispiel des Handels mit Subfossilien vgl. Irina Podgorny. “Recyclen: Vom Schrott der Ausrottung zur Ökonomie der (Sub-)Fossilien”. In Sammlungsökonomien. Ina Heumann und Nils Güttler (Hg.). Berlin: Kadmos 2016: 23-46.
  7. Ursprünglich im östlichen Asien beheimatet, ist der Davidshirsch (Elaphurus davidianus) in freier Wildbahn spätestens seit dem 19. Jahrhundert ausgerottet und konnte nur durch Haltung in den kaiserlichen Gärten von Peking überleben. Nachdem französische, britische und deutsche Diplomaten aus der Herde von rund 120 Davidshirschen lebende Tiere geschenkt bekamen, wurden diese in europäische Zoos gebracht, darunter auch in den Berliner Zoo. Dort wurden die Tiere jedoch mit Rothirschen gekreuzt, wodurch der Bestand bald nicht mehr reinblütig war. Die heutigen Bestände stammen sämtlich von europäischen Zoohirschen ab.
  8. L. Heck an A. Brauer, 10.06.1914, MfN, HBSB, Zool. Mus. S III, Zoolog. Garten I. Nachdem das Aussterben in China bekannt geworden war, gaben alle Zoos ihre Davidshirsche nach Woburn Abbey in England, wo der Herzog von Bedford sie erfolgreich züchtete. 1914 waren es bereits 90 Tiere und bis 1946 war die Zahl auf 300 Hirsche angewachsen. Kleine Zuchtgruppen wurden auf verschiedene Zoos verteilt und überall gezüchtet.
  9. Vgl. H. Pohle an L. Heck, 28.02.1931, MfN, HBSB, Zool. Mus. S III, Heck, L. (1926-1937).
  10. Das galt auch für Tierhändler wie die Hamburger Firma Umlauff, die Felle an Matschie zur Bestimmung schickte, die sie in den Bälge-Katalog aufnehmen wollte. Als Gegenleistung wurden meist Tiere oder Honorare angeboten; vgl. MfN, HBSB, Zool. Mus. S III Umlauff.
  11. O. Heinroth an das Naturkundemuseum, 09.03.1913, MfN, HBSB, Zool. Mus. S III, Heinroth, Oskar, Bl. 8.
  12. Matschie schrieb: “Dass die Art ausgerottet ist, wage ich nicht zu behaupten, weil in China noch weite Gebiete unerforscht sind. Als Tauschobjekt das Fell und diesen Schädel zu verwerten, wird sehr schwer sein. Dann soll der Garten gegen Erstattung der Herrichtungskosten es lieber selbst versetzen.” Interne Notiz von Paul Matschie, 10.06.1914, MfN, HBSB, Zool. Mus. S III, Zoolog. Garten.
  13. Zu den Instruktionen des Naturkundemuseums vgl. Martin Hinrich Lichtenstein. “Instructionen für die auswärtigen Reisenden und Sammler”. 1815, MfN, HBSB, Zool. Mus. S I, Instructionen für Sammler; vgl. auch Arthur MacGregor. Naturalists in the Field: Collecting, Recording and Preserving the Natural World from the Fifteenth to the Twenty-First Century. Leiden/Boston: Brill, 2018.
  14. Das war einer der Gründe, weshalb Tiere, die von Sammelexpeditionen oder Sammler:innen im Feld stammten, vom Museum meist gegenüber Tieren aus Gefangenschaft bevorzugt wurden; vgl. P. Matschie 10.06.1914, MfN, HBSB, Zool. Mus. S III, Zoolog. Garten.
  15. Vgl. MfN, HBSB, S004-02-05 Nr. 97.
  16. Laut der “Elephant Database” wurde der afrikanische Steppenelefant 1875 im Sudan geboren und 1888 mit dem Schiff nach Deutschland importiert; vgl. Dan Koehl. “Mary, African Savanna Elephant (Loxodonta africana) Located at Berlin Zoo in Germany”. Elephant Encyclopedia,2021. https://www.elephant.se/database2.php?elephant_id=3912 (23.08.2021).
  17. L. Zukowsky an H. Pohle, 29.11.1932, MfN, HBSB, S004-02-05 Nr. 97; vgl. auch Dr. Hauchecorne an Paul Matschie, 20.03.1925, MfN, HBSB, S004-02-05 Nr. 97.
  18. L. Zukowsky an H. Pohle, 23.02.1932, MfN, HBSB, S004-02-05 Nr. 97.
  19. Ebd.
  20. Ebd.
  21. G. Steinbacher an Hermann Pohle, 01.07.1935, MfN, HBSB, S004-02-05 Nr. 97.
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