Wie kommen Tiere in den Zoo?

Thema Politische, logistische und moralische Herausforderungen

Schwarz-weiß Foto: drei halb im Wasser untergetauchte Flusspferden. Das Tier in der Mitte ist ein Jungtier, alle schauen nach links zum Beckenrand.

Die Flusspferde “Knautschke” (unten), Jungtier “Jette” (mittig) und “Bulette” (oben), um 1959. (AZGB, Foto: Hoppe. Alle Rechte vorbehalten.)

Wie kommen eigentlich die Tiere in den Zoo? Besucher:innen eines Tierparks, Tiergartens oder Zoologischen Gartens stellen sich die Frage mutmaßlich selten. Dabei sind die ausgestellten Tiere in der Regel der Grund des Besuchs und auch die Voraussetzung der Institution Tiergarten. Zoos selbst gaben in ihrer langen Geschichte die Quellen ihrer Tiere nicht regelmäßig an. Das Tier, nicht sein ursprüngliches Habitat standen im Mittelpunkt. Manchmal aber war die Herkunft des Tieres Teil des Ausstellungskonzeptes. So zum Beispiel Ende des 19. Jahrhunderts und in den 1930er Jahren als Tiere aus den (ehemaligen) deutschen Kolonien als solche gekennzeichnet oder vermarktet wurden oder Rückzüchtungsversuche ausgestorbener Tiere den Ruf des Zoodirektors stärken sollten. Heute sind Zoos sehr darauf bedacht, die Herkunft der Tiere aus internationalen Zuchtprogrammen als Fortschritt und als Teil ihres Artenschutzauftrages zu betonen. Aber wo kamen und kommen die Zootiere nun her?

Zootiere haben bis heute unterschiedlichste Provenienzen. Sie gelangen mal durch zufällige Umstände als Geschenke oder Gelegenheitskäufe, mal als Ergebnis langer Vorarbeit in die Institutionen. Ihre Wege dahin spiegeln stets auch geopolitische, ökonomische und wissenschaftliche Dynamiken wider. Manche Formen des Tiererwerbs oder der Tierakquise haben sich erst spät in der mehr als 250-jährigen Geschichte der ‘modernen’ Zoos entwickelt. Daneben existieren einige Tierquellen, die kontinuierlich eine wichtige Rolle einnehmen. Es geht also um Veränderungen und Kontinuitäten.

Jagen und Schenken

Zur Zeit der Gründung der ersten ‘modern’ oder ‘wissenschaftlich’ genannten zoologischen Gärten insbesondere in Europa und Nordamerika etwa Mitte des 19. Jahrhunderts waren alle dort ausgestellten und nicht einheimischen Tiere Wildfänge. Die Jäger waren lokale Amateure oder Profis oder aber auch speziell ausgesandte Jäger, die entweder von einer Firma bezahlt wurden oder auf eigene Rechnung Tiere fingen und sie dann den Zoos anboten. Zwar stammten auch Tiere einheimischer Arten aus Wildfängen, oft aber dominierten hier bereits Zuchten aus den früher angelegten Menagerien der herrschaftlichen Anwesen oder frühen Tiersammlungen von Städten. Das betraf insbesondere Huftierarten, Fasane und einheimische Nagetiere.

Viele der nicht einheimischen Tiere in der Frühzeit der europäischen Zoos waren Geschenke durch die jeweils herrschenden Territorialfürsten. Diese wiederum hatten sie selbst von anderen Herrschern oder Staatsoberhäuptern geschenkt bekommen oder sie waren ihnen von Forschungsreisenden oder Adeligen überreicht worden. Jene hatten sie selbst gefangen oder gekauft. Insbesondere Schenkungen von Tieren waren stets mit politischen Gesten verbunden. Dem Besitz dieser Tiere wurde ein diplomatischer Wert zugeschrieben. Dieser Wert hing davon ab, wie selten oder gefährlich, wie groß oder schwer ein Tier war und ob es sich um eine Art handelte, die im Kontext europäischer Tiergeschenke bis dahin unbekannt gewesen war. Das hing damit zusammen, dass die Beschaffung jener Tiere oft hohe Kosten verursachte und die Tiere daher auch einen finanziellen Marktwert hatten, der durch den Akt des Schenkens in einen diplomatischen Wert übersetzt wurde.

Schwarz-weiß Foto: ein liegender und ein stehender Elefant mit drei Zoowärtern vor einem hohen Zaun.

Die beiden asiatischen Elefanten “Omar” und “Rostom” waren 1881 Geschenke des mit dem preußischen Königshaus verwandten britischen Hofs. (AZGB. Alle Rechte vorbehalten.)

Diese Praxis des Schenkens setzte sich mit der kolonialen Expansion fort, von der alle Zoos – auch der Berliner Zoologische Garten – als auch die naturkundlichen Sammlungen profitierten, siehe auch Von einer Karawane gekauft and Von Schädlingen zu Ausstellungsstücken. Mitglieder des kaiserlichen Haushaltes, Gouverneure, Kolonialgesellschaften und an der Ausbeutung der eroberten Länder beteiligte Kaufleute oder Kolonialbeamte schenkten dem Zoo der Reichshauptstadt Tiere aus den Kolonien. Die Umstände des Fangs oder Erwerbs dieser Tiere interessierten die Zooleitung nicht und wurden nicht verzeichnet. Seit 1891 wurden in den Zoo-Geschäftsberichten regelmäßig Geschenke aus den deutschen Kolonialgebieten erwähnt. 1907 besaß der Zoologische Garten elf Löwen und nur ein einziges dieser Tiere war kein Geschenk aus den Kolonien gewesen.1

Politische Geschenke oder Leihgaben haben in Einzelfällen bis heute ein großes Gewicht in den Berliner Tiergärten. Während des Kalten Krieges galt das sowohl für den Zoologischen Garten im Westen Berlins als auch für den im Osten der geteilten Stadt gelegenen Tierpark Berlin, der durch Schenkungen aus sozialistischen Ländern unterstützt wurde. Ein bekanntes Beispiel für politische Tiergeschenke waren die Pandas “Bao Bao” und “Tien Tien”, die 1980 als Geschenk des chinesischen Ministerpräsidenten Hua Guofeng an den westdeutschen Regierungschef Helmut Schmidt in den Berliner Zoo kamen.

In den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war aber bereits eine weitere wichtige Provenienz von Tieren hinzugekommen, die ebenso weitgehend auf der Ausbeutung der in den natürlichen Lebensräumen lebenden Tierpopulationen beruhte – der Tierhandel.2

Internationaler Tierhandel

Ausgehend von Gelegenheitskäufen kleinerer Tiere, die Reisende oder Matrosen an Bord von Schiffen aus kolonialen Handelsstützpunkten in europäische Häfen brachten, entwickelten sich Tierhandelsfirmen. Nach und nach bauten diese ausgeprägte Netzwerke von Fängern und Handelsvertretern in allen europäischen Kolonien und darüber hinaus aus, siehe dazu ausführlich Tiere fangen. Das Geschäftsmodell beruhte auf dem System kolonialer Ausbeutung, das die Verfügungsgewalt über billige lokale Arbeitskraft und die Umwelt anderer Erdregionen durch Europäer:innen bedingte. Die Nachfrage in den europäischen Zoos trieb dieses Geschäftsmodell wirtschaftlich an.

Zoos konnten Ende des 19. Jahrhunderts auf umfangreiche Angebote mehrerer professioneller Händler zurückgreifen. Auf jährlichen Verkaufsmessen und in Lagerhallen der Händler in Hafennähe wurden die Tiere versteigert. Manche Händler informierten Zoodirektoren über ihre Fangpläne im Voraus oder nahmen gar Wünsche entgegen. Die großen Handelshäuser wie Jamrach in London, Hagenbeck in Hamburg oder Reiche in Alfeld bündelten oft ihre Transporte im Ursprungsgebiet und versorgten dann mehrere Zoos, wobei eine Vielzahl an Tieren auf dem Transport verendete, worüber nicht zuletzt in (Fach-)Zeitschriften wie “Der Zoologische Garten” berichtet und diskutiert wurde. Dieses Risiko galt für die charismatischen Säugetiere ebenso wie für Meerestiere.3

Schwarz-weiß Foto: verschieden große Körbe, Kisten und Behälter mit Abdeckungen auf gepflastertem Weg. Eine Person sitzt links daneben und hält einen zylinderförmigen, halb mit Wasser gefüllten Glasbehälter.

Ankunft von neuen Tieren für das Aquarium Berlin, vermutlich aus einem größeren Transport um 1920. (AZGB. Alle Rechte vorbehalten.)

Schwarz-weiß Foto: fünf Giraffen, die stehend aus hohen Transportkisten herausgucken. Person mit Tropenhelm und hohen Stiefeln steht auf einer an der Transportkiste ganz rechts angebrachten Stufe und guckt neben dem Giraffenkopf oben hinein.

Giraffentransport für den Zoo, 1928. (AZGB, Foto: Wolter. Alle Rechte vorbehalten.)

Die Zucht von Zootieren und das Ende des Tierhandels

Der Zweite Weltkrieg beendete zunächst den weltweiten Handel mit Wildtieren. In Deutschland kam es im Kriegsverlauf zu Diebstählen aus Zoos der eroberten Länder. Tiere wurden als Kriegsbeute ins Deutsche Reich gebracht. Nach Kriegsende blühte der Handel zwar kurzfristig wieder auf, aber es deutete sich bereits auch dessen baldiges endgültiges Ende an. Gewerbliche Jagd und die Zerstörung der Lebenswelten hatten zu einem massiven Rückgang vieler Tierarten überall auf der Welt geführt.

Auch in deutschen Zoos wurde das Ausmaß des Artenrückgangs spürbar. Die Zoos standen aber vor einem Dilemma. Auf die gefährdeten, aber hoch schauwertigen Tiere zu verzichten bedeutete für einige, dass sie Angst hatten, ihnen würden die Besucher:innen abhandenkommen, wenn sie diese Tiere nicht mehr ausstellten, deren Schau bislang mit einem besonderen Prestige verbunden war. Zwar hatten die deutschen Zoodirektoren – nach der erzwungenen Pensionierung von Katharina Heinroth ausschließlich Männer – bereits 1962 ein Verbot des Imports von wildgefangenen Exemplaren dieser Spezies diskutiert,4 den artenreichsten Zoo Deutschlands, Europas oder gar der Welt zu haben, galt vielen von ihnen aber noch als Aushängeschild. Weder deutsche noch internationale Zoodirektoren waren sich über die zu treffenden Maßnahmen einig. Einige zögerten, sich selbst Restriktionen für die Einfuhr bedrohter Tierarten aufzuerlegen. Sie sahen ihre Tiergärten als mögliche Auffang- und Zuchtstationen für die gefährdeten Arten, während andere die Zoos direkt in der Verantwortung sahen und strenge Regeln für die Einfuhr und Haltung von gefährdeten Spezies befürworteten. Die Kommission der Tiergärten der DDR sprach sich noch 1970 unter Führung des Tierparkdirektors Heinrich Dathe gegen ein Einfuhrverbot für die gefährdeten Orang-Utans aus. Dieser plante Anfang der 1970 ein neues Menschenaffenhaus mit diesen Tieren.

Letztlich setzte Mitte der 1970er Jahre das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten freilebenden Tieren und Pflanzen, die sogenannte Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (CITES, oder auch Washingtoner Artenschutzabkommen), den Zoos in den allermeisten Fällen strenge Grenzen für den Kauf oder Tausch gefährdeter Tierarten. Zuvor hatte die Weltnaturschutzunion, die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN), sich dafür stark gemacht. Das Washingtoner Artenschutzabkommen war für Zoos daher ein Anlass, die seit Jahrzehnten durchgeführte Zucht eigener Tiernachkommen zu intensivieren.

Dabei werden zwei unterschiedliche Kontexte der Zucht in Zoos deutlich. Mit verbesserten Haltungsbedingungen kam es in Zoos spätestens seit den 1880er Jahren zu zufälligen und erwünschten Nachzuchten. Diese bereicherten den Tierbestand ohne zusätzliche Kosten zu verursachen und konnten zudem mit anderen Zoos gegen andere begehrte Tiere getauscht werden. Um die Jahrhundertwende des 19. zum 20. Jahrhundert wurden solche Tauschgeschäfte noch per Handschlag zwischen den Zoodirektoren abgeschlossen.5 Der Tausch von Tieren zwischen Zoos wurde für den Berliner Zoo nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zur wichtigsten Quelle für Tiere, da Deutschland vom internationalen Tierhandel ausgeschlossen war und die Zoos wegen der Inflation über keine Mittel zum Tierkauf verfügten. Der Geschäftsbericht des Berliner Zoos für das Jahr 1919 weist beispielsweise ausdrücklich darauf hin, dass Tiere nur durch den Tausch mit anderen deutschen Zoos erworben werden konnten. Das Ziel war, durch Zucht den Bestand zu erhalten. Auch in den folgenden Jahren werden nur zwischen deutschen Zoos getauschte Tiere erwähnt. Die Ausnahme bildet das Aquarium, welches 1920 eine Sendung aus dem New Yorker Zoo mit Pfeilschwanzkrebsen bekam. Aber auch diese waren ein Geschenk des dortigen Kollegen.6 Erst ab Ende der 1920er Jahre wurden ausweislich der Journale des Zoos wieder Tiere gekauft.

Das Tauschsystem etablierte sich aber insgesamt im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so gut, dass zwischen den Tiergärten Deutschlands und Europas ‘Angebotslisten’ für Tauschgeschäfte verschickt wurden. Im Archiv der Zoologischen Gärten Berlins finden sich unzählige Angebotslisten von Zoo und Tierpark. Der Zoo führte einige Jahre eine ganze Reihe chronologisch geordneter Aktenhefter mit Tierangeboten und Tierwünschen. Seit 1955 tauschten auch die direkten Konkurrenten in Berlin – Zoo und Tierpark – Tiere aus. Neben direkten Wünschen, die aus der Kenntnis des Tierbestandes des jeweils anderen Tiergartens ergaben, tauschten beide Gärten ebenso Wunschlisten und Angebotslisten aus.7 Natürlich wurde auch international getauscht.

Der Tierparkdirektor Heinrich Dathe berichtete in einer Pressemitteilung zum Jahresende 1963:

“Die seit Jahren bestehenden guten Kontakte mit den Zoologischen Gärten in aller Welt führten zu Tiertauschen mit Tiergärten in folgenden Staaten: Argentinien, Brasilien, CSSR, Dänemark, Frankreich, Indonesien, Israel, Italien Kanada, Kuba, Niederlande, Österreich, Polen, Schweiz, UdSSR.”8

Das Zoo-Aquarium züchtete Nachkommen von Fischen, Amphibien, Reptilien und Insekten extra für den Zweck des Tauschs mit anderen Aquarien und insbesondere die Polypen der Quallenzucht wurden häufig abgegeben.9

Solche Verschiebungen von Tieren zwischen Zoos konnten zum einen dazu dienen, neue Tierarten in die Ausstellung zu übernehmen oder aber die Präsenz einer bestimmten Spezies dauerhaft zu gewähren. Die getauschten Tiere wurden als Ersatz für gestorbene Individuen gezeigt oder dienten der Nachzucht. Zunehmend aber wurde klar, dass es auch darum gehen musste, Inzucht innerhalb einer in Zoos gehaltenen Tierart zu vermeiden. Miteinander verwandte Tiere wurden im Tausch abgegeben und genetisch unbedenkliche Individuen in die Gruppen übernommen.

Das Bewusstsein für diese Problematik musste aber erst noch entstehen. Im Berliner Zoo kam es zwischen 1950 und 1952 zweimal zu erfolgreichen Nachzuchten von Flusspferdkälbern mit dem einzig überlebenden Berliner Flusspferd, einem Bullen namens “Knautschke”. Die Zoodirektorin Katharina Heinroth und ihr Leipziger Kollege Karl Max Schneider hatten einen Zuchttausch vereinbart. Die Leipziger Flusspferdkuh “Grete” kam zur Fortpflanzung nach Berlin. Der erste männliche Nachwuchs ging nach Leipzig, das zweite, weibliche Flusspferdkalb “Bulette” blieb in Berlin. Zusammen züchteten sie Nachkommen, unter anderem das Kalb “Jette”.10 Die ausgeprägte Inzucht scheint in diesem Fall für die Zeitgenoss:innen nicht problematisch gewesen zu sein.

Schwarz-weiß Foto: drei halb im Wasser untergetauchte Flusspferden. Das Tier in der Mitte ist ein Jungtier, alle schauen nach links zum Beckenrand.

Die Flusspferde “Knautschke” (unten), Jungtier “Jette” (mittig) und “Bulette” (oben), um 1959. (AZGB, Foto: Hoppe. Alle Rechte vorbehalten.)

Das änderte sich allerdings mit der Zeit und auch der Charakter der Tauschvorgänge änderte sich, womit der zweite Kontext von Zoozucht angesprochen wird. Schon seit dem ersten erfolgreichen Beispiel einer Erhaltungszucht durch Zoos, der des Wisents oder des Przewalskipferds,11 wurden in Zoos Zuchtprogramme geplant, die dem Arterhalt insgesamt dienten – etwa die Zucht und Wiederansiedlung des Alpensteinbocks sowie des Bartgeiers, die durch gemeinsame Anstrengungen internationaler Zoos gelangen. Die planvollen und von vielen Zoos getragenen Initiativen für gemeinsame Zuchtgruppen, die in den 1980er Jahren folgten, waren aber wesentlich durch die Restriktionen für den Handel durch das Washingtoner Abkommen bedingt. Da Zoos nun keine neuen Tiere aus der Natur entnehmen konnten und der Wildtierhandel quasi zum Erliegen kam, wurde die Zucht zur bestimmenden Quelle für Zootiere. Weiterhin wurde getauscht, nun sollte aber die genetische Diversität innerhalb der Zoopopulation unbedingt erhalten bleiben.

Die Mittel dafür waren sogenannte Zuchtbücher (engl. studbooks). Diese hatten ihr Vorbild in der Pferdezucht, ihr Prinzip war von Zoos aber 1923 adaptiert worden. In jenem Jahr wurde mit dem Zuchtbuch für den europäischen Wisent das erste derartige Tierverzeichnis angelegt. Der Zuchtbuchführer koordinierte die Weitergabe von in dem Zuchtbuch verzeichneten Tieren in menschlicher Obhut zum Zweck der Zucht und dem Erhalt der genetischen Vielseitigkeit in der Zoo-Population. Heute können Zuchtbücher auch Empfehlungen zur Verbesserung von Haltungsbedingungen enthalten. Sukzessive wurden nun Zuchtbücher für die gefährdeten und vom Handel ausgeschlossenen Arten eingeführt. Der Berliner Zoo führte beispielsweise lange Zeit unter anderem das Zuchtbuch für die Breitmaulnashörner und der Tierpark Berlin die Zuchtbücher für den Vietnam-Sikahirsch und das dem ausgestorbenen Auerochsen ähnliche sogenannte Heck-Rind.

Vorderseite eines roten Hefts mit Skizze eines Nashorns. Titel: Zoologischer Garten Berlin – Internationales Zuchtbuch für das afrikanische Breitmaulnashorn – 9 – International Studbook for the African White Rhinoceros – 01.01.2001

Titelseite des im Berliner Zoologischen Garten geführten Zuchtbuchs für Breitmaulnashörner, 2001. (Zoo Berlin)

Heute hat das Internet-basierte Informationssystem Species360 die Arbeit der Zuchtbuchkoordinator:innen erleichtert und die gedruckten Zuchtbücher weitgehend obsolet werden lassen.

Insbesondere bei gefährdeten Tierarten müssen die tauschenden Zoos die Vorschriften des Artenschutzabkommens penibel beachten. Und dennoch hat sich für Berliner Tierpark und Zoo der Tausch von Tieren zwischen Mitgliedseinrichtungen des deutschen Verbandes der Zoologischen Gärten sowie der europäischen oder weltweiten Zooverbände zu einer wichtige Quelle entwickelt, um neue Tiere zu erhalten.

Diese Praxis der Schaffung einer “institutionenübergreifende(n) ‘Metasammlung’” wirkt sich auch auf die beteiligten Institutionen aus:

“Neue (Sammlungs-)Kollektive werden geschaffen, welche über die einzelnen Zoos hinausgehen. Zootiere und Zoos werden neu zueinander in Beziehung gesetzt, teils mittels Transfers zu Zuchtzwecken buchstäblich versetzt und vernetzt sowie diese neuen Kollektive aufwendig geregelt.”12

Mit wachsendem Wissen um seltene Tierarten und zunehmendem Erfolg von Zuchtprogrammen versuchten sich Zoos und Aquarien auch an der Zucht bis dahin nur selten oder selten erfolgreich gezüchteter Spezies. Erfolg maß sich an der Lebensdauer und der Regelmäßigkeit von Nachwuchs. Im Berliner Aquarium gelang es in den 1990er Jahren zum ersten Mal, dauerhaft verschiedene Quallenspezies zu züchten und zu zeigen. Die ersten Exemplare von Ohrenquallen, die die Grundlage der Zucht bildeten, wurden von Aquariumsmitarbeitern zwischen 1986 und 1989 in der Nordsee gefangen. Dafür durften sie Forschungsschiffe des Meereskunde-Instituts der Kieler Universität auf Forschungsreisen begleiten.13

Zwei hohe, von oben stark beleuchtete Glasbecken mit kleinen, hellen Quallen in dunklem Wasser. Gefliester Boden und weitere Becken im Hintergrund.

In diesen Becken züchtete das Berliner Aquarium Ende der 1990er Jahre zum ersten Mal seit den 1930er Jahren erfolgreich Quallen. (AZGB. Alle Rechte vorbehalten.)

Zoos zwischen Pragmatik, Freizeitunternehmen und Artenschutzstrategien

Mit den unterschiedlichen Bezugsquellen von Tieren hingen und hängen jeweils unterschiedliche Akquisestrategien und Handlungsanforderungen für die Institutionen zusammen. Das betrifft die Vorbereitung, die Logistik rund um den Erwerb und die benötigten Arbeits- und Finanzmittel. Die Ausstattung einer eigenen Sammlungs- oder Fangexpedition benötigt neben den behördlichen Genehmigungen auch eine größere finanzielle Anfangsinvestition. Ein geschenktes oder für Zwecke der Zucht entliehenes Tier muss untergebracht und unterhalten werden. Für die Zucht in Zoos muss das notwendige biologische und tiermedizinische Wissen vorhanden sein und vor allem ausreichend Platz. Dieser wird für größere Sozialgruppen benötigt. Das galt und gilt auch wenn Zoos lebende Tiere kauften oder kaufen. Zudem sind hier weitere Geldmittel notwendig. Heute sollte davon ausgegangen werden, dass die gehaltenen Tierarten, aber auch individuelle Gruppen einer Art, in die institutionseigene Haltungs-, Bildungs-, Ausstellungs- oder Forschungsstrategie passen.

Ein Blick auf die Geschichte nicht nur der Berliner Tiergärten zeigt, dass diese Strategien zwar vorhanden waren oder sind, ein wesentlicher Anteil der Bemühungen um Tiere aber oft damit zusammenhing, dass diese einzigartig und neu waren oder aber großes Interesse seitens der Besucher:innen erwarten ließen. Klassische Beispiele für letzteres sind Pandas oder für das Publikum attraktive Tiere wie Menschenaffen, Elefanten, Raubtiere (insbesondere Raubkatzen). Auch von den Besucher:innen als niedlich oder außergewöhnlich wahrgenommene Tiere wie Pinguine oder Erdmännchen, Giraffen oder Tapire spielen eine Rolle.

Die Anziehungskraft beliebter Zootiere beruht darauf, dass sie uns ähnlich, riesig, gefährlich oder süß sind, aufrecht stehen oder besondere Merkmale aufweisen.14 Mehr zu diesen sogenannten Schauwerttieren auch in Tiere zur Schau stellen.

Letztlich scheint es, als seien Zoos – darunter auch der Berliner Zoo, sein Aquarium und der Tierpark – was die Bezugsquellen ihrer gehaltenen Tierarten, aber auch einzelner Tiere angeht, lange Zeit ihres Bestehens vor allem pragmatisch gewesen. Tiere wurden aus allen erhältlichen Quellen bezogen. Viele Tiere zu besitzen und diese den Besucher:innen zugänglich zu machen war ein wesentliches Ziel.

Im Ost-Berliner Tierpark stand eine riesige Fläche von mehr als 100 Hektar zur Verfügung, die mit Tiergehegen oder größeren Herden gefüllt werden sollte, während sich der West-Berliner Zoo bemühte, seinen Ruf als artenreichster Zoo der Welt zu behaupten. Letzteres hing in der von Subventionen aus der Bundesrepublik abhängigen Stadt auch damit zusammen, dass alles in West-Berlin letztlich einem Legitimationszwang unterlag. Der Zoo war ein Tourismusmagnet in der Frontstadt des Kalten Kriegs. Konzentrationen auf bestimmte Tiergruppen aus pädagogischen Überlegungen oder Gründen des Artenschutzes standen bis weit nach der Jahrtausendwende nicht im Vordergrund des Tiererwerbs.

Sandra Nicolodi konstatiert, dass die “Verlagerung hin zu einer zooübergreifend koordinierten Nachzucht bestimmter bedrohter Tierarten, wie sie heute beispielsweise in Form von Erhaltungszuchtprogrammen praktiziert wird, zwar nicht das Endprodukt einer geradlinigen Entwicklungslinie” sei, wie Zooverbände gerne postulieren, “nichtsdestoweniger scheint sie tatsächlich etwas neues zu sein”. Auch wenn wie zu sehen ist, diese “Nachzuchtbestrebungen” älter sind.15

Seit einigen Jahren lassen sich neue Tendenzen wahrnehmen, die international, in der Bundesrepublik und in Berlin die Tiergärten verändern. Stärker als bislang treten nun langfristige strategische Überlegungen an die Stelle des Pragmatismus. Wachsende Kritik der Haltungsbedingungen in Zoos und Fragen nach ihrer zukünftigen Rolle in naturkundlicher Bildung und Artenschutz ex situ (also in den Zoos durch Zucht) und in situ (in den ursprünglichen Lebensräumen der Tiere) haben zu einer Abkehr von der ‘Sammelleidenschaft’ früherer Zoodirektoren geführt. Allenthalben sehen Beobachter:innen nun eine zahlenmäßige Verkleinerung der gehaltenen Tierarten zugunsten größerer Gehege und die Konzentration auf sogenannte Flaggschiff-Arten – also “gefährdete Tierarten mit einem hohen Schauwert, über deren Schutz man gleichzeitig den Schutz vieler anderer Tierarten erreicht, die den Lebensraum mit ihnen teilen”.16 Solch eine Praxis entspricht der 2015 vom Weltverband der Zoos und Aquarien verabschiedeten ‘Conservation Strategy’.17 Ob das eine wirksame Neuausrichtung der Zoos für die Zukunft bedingen kann, ist umstritten.18 Denn ganz hat der Pragmatismus noch keinen Zoo verlassen: Zuchtprogramme vor allem schauwertiger Tiere bleiben weiterhin wichtig, um die Lieblinge der nach wie vor zahlreichen Besucher:innen in den Zoos zu erhalten. Vielleicht erwirtschaften diese ja die Einnahmen zur Erzielung der neuen strategischen Ziele?


  1. Actien-Verein des Zoologischen Gartens Berlin. Geschäftsbericht für das Jahr 1907. Berlin: 1908.
  2. Für eine Übersicht der Einfuhren nicht-heimischer Tierarten vgl. Lothar Dittrich. “Der Import von Wildtieren nach Europa: Einfuhren von der frühen Neuzeit bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts”. In Tiere unterwegs: Historisches und Aktuelles über Tiererwerb und Tiertransporte, Helmut Pechlaner, Dagmar Schratter und Gerhard Heindl (Hg.). Wien: Braumüller, 2007: 1-64.
  3. Heinz-Georg Klös. “Tierfänger und Großtierhändler: Erinnerungen eines alten Tiergärtners, Teil I”. Bongo 34 (2004): 3-42; sowie Heinz-Georg Klös. “(…), Teil II”. Bongo 35 (2005): 7-42.
  4. Protokoll der Beratung der Kommission für Tiergärten der DDR am 23. und 24. März 1970 in Halle, 16.04.1970, AZGB, O 0/1/18; H. Dathe an Ministerium für Kultur der DDR, 10.12.1974, AZGB, O 0/1/206; Protokoll der Tagung des Verbands Deutscher Zoodirektoren 1962, Archiv Tiergarten Schönbrunn (ATGS), Nachlass W. Fiedler, Ordner Verband Deutscher Zoodirektoren, Nr. 2.
  5. Ludwig Heck. “Heiter-ernste Erinnerungen an Tiergärtner”. Der Zoologische Garten 12, Nr. 3/4 (1930): 228-238.
  6. Geschäftsberichte des Zoologischen Gartens Berlin für die Jahre 1919-1924.
  7. Beispiele für Listen finden sich an verschiedenen Stellen im AZGB, so seitens des Tierparks in O 0/1/5, O 1/2/138; die Bestandsreihe zu den Angeboten und Wünschen des Zoos zwischen 1947 und 1957 unter O 0/1/2/42 ff.
  8. Tierpark Berlin, Pressemitteilung Nr. 104/63, 28.12.1963, AZGB O 0/1/307.
  9. Rainer Kaiser. “Wie kommen die Tiere aus allen Teilen der Welt in das Zoo-Aquarium?” In Picassofisch und Kompassqualle: 100 Jahre Zoo-Aquarium Berlin, Bernhard Blaszkiewitz (Hg.), Berlin: Lehmanns, 2013: 214-239, 229, 232-235.
  10. Katharina Heinroth. Mit Faltern begann’s: Mein Leben mit Tieren in Breslau, München und Berlin. München: Kindler, 1979: 174-175; Clemens Maier-Wolthausen. Hauptstadt der Tiere: Die Geschichte des ältesten deutschen Zoos. Andreas Knieriem (Hg.). Berlin: Ch. Links Verlag, 2019: 151, 153; Blaszkiewitz, Bernhard. Knautschke, Knut & Co: Die Lieblingstiere der Berliner aus Tierpark und Zoo. Berlin: Lehmanns Media, 2009: 11-18.
  11. Vgl. Raf de Bont. “Extinct in the Wild: Finding a Place for the European Bison 1919-1952”. In Spatializing the History of Ecology: Sites, Journeys, Mappings, Raf de Bont und Jens Lachmund (Hg.). New York: Routledge, 2017; Jan Bouman. “The History of Breeding the Przewalski Horse in Captivity”. In Breeding Przewalski Horses in Captivity for Release into the Wild, Jan Bouman, Inge Bouman und Annette Groeneveld (Hg.). Rotterdam: Foundation for the Preservation and Protection of the Przewalski Horse, 1982: 17-64.
  12. Nicolodi, Sandra. “Nachzucht: Eine relativ neue Sammelpraxis Zoologischer Gärten”. Traverse 19, Nr. 3 (2012): 91-105, 100.
  13. Kaiser, 2013: 221.
  14. Jürg Meier. Handbuch Zoo: Moderne Tiergartenbiologie. Bern: Haupt Verlag, 2009: 115-120.
  15. Nicolodi, 2012: 91, 96.
  16. Meier, 2009: 121.
  17. Alejandro Grajal, Jerry F. Luebke und Lisa-Anne DeGregoria Kelly. “Why Zoos Have Animals: Exploring the Complex Pathway from Experiencing Animals to Pro-environmental Behaviors”. In The Ark and Beyond: The Evolution of Zoo and Aquarium Conservation, Ben A. Minteer, Jane Maienschein, James P. Collins und George B. Rabb (Hg.). Chicago: The University of Chicago Press, 2018: 192-203.
  18. Vgl. Manfred Niekisch und Volker Sommer. “Artenschutz durch Zoos: Zwei Perspektiven”. Aus Politik und Zeitgeschichte 71, Nr. 9 (2021): 31-38.
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