Welche Geschichten können uns Verzeichnisse wie dieses Tagebuch erzählen? Der Präparator Friedrich Beyer, der von 1817 bis 1851 am Zoologischen Museum Berlin arbeitete, dokumentierte in seinen Tagebüchern nicht nur, welche Art von Sendungen am Museum ein- und ausgingen, sondern auch von wem, woher und wozu sie gebraucht wurden. Seine Notizen gehören so zusammen mit Etiketten, Objektlisten und Inventarbüchern zu den frühen Verzeichnismedien der Sammlung.
Neben häufig erwähnten Kisten voller Vogelbälge, Fische und Amphibien tauchen dabei auch Einträge zu außergewöhnlichen Einsendungen wie etwa einem ‘monströsen Hühnerei‘ oder einem ‘Löwen-Tiger’ auf. Durch sie erhalten wir zum Teil detaillierte Informationen über das Umfeld und Nachleben der Tierobjekte. Die handschriftliche Notiz, welche den Eingang des ‘Löwen-Tigers’ im Zoologischen Museum im Februar 1843 verzeichnet, wird beispielsweise um einen Ausschnitt in gedruckter Form ergänzt. Dieser Ausschnitt ist Teil eines Handzettels, mit welchem der Dompteur Anton van Aken seine “Große Menagerie seltener und merkwürdiger Thiere” bewarb. Er lässt uns nicht nur das Geburtsdatum des ‘Löwen-Tigers’ am 18. Oktober 1838 wissen, sondern auch, um welch “außerordentliche, bisher noch nie gesehene Erscheinung” es sich bei ihm handle. Das Tagebuch stellt sich damit als Notizsammlung dar, dessen unterschiedliche Quellen uns einerseits über das Leben des ‘Löwen-Tigers’ im Zirkus informieren, uns andererseits aber auch darüber unterrichten, dass das Tier nach seinem Tod zwar im Museum präpariert, sein Skelett aber – auf van Akens ausdrücklichen Wunsch – an diesen zurückgesendet wurde.
Auch das Verbrauchsmaterial, welches in Form von gelieferten Glasaugen, Holzköpfen und Spiritus in Erscheinung tritt, verweist auf eine Geschichte, die den Tagebüchern innewohnt. Ebenso wie die Anmerkungen zur Präparation gewährt es uns Einblick in die alltägliche Arbeit eines Tierpräparators. Neben dem Skelettieren, Präparieren und Aufstellen in Spiritus wird an einzelnen Stellen vermerkt: “wegen sehr mangelhafter Behaarung zum Ausstopfen unbrauchbar, deshalb nur die Köpfe behalten” oder “war schon mehr als 3 Tage vorher verstorben und deshalb gänzlich unbrauchbar”. Nicht jedes Tier erreichte das Museum also in einem Zustand, der akzeptabel schien. Vieles war bereits verfault, “von Ratten zerfressen” oder genügte nicht den ästhetischen Ansprüchen.
Was uns die Tagebücher darüber hinaus deutlich machen, ist die Verbindung des Zoologischen Museums mit anderen Institutionen und deren Geschichte. Im Jahr 1844, dem Jahr seiner Gründung, tritt der Zoologische Garten Berlin erstmals als Herkunftsort in den Tagebüchern auf, während die aufgelöste königliche Menagerie auf der Pfaueninsel südlich von Berlin von seinen Listen verschwindet. Dieser Wechsel verweist nicht nur auf den historischen Übergang von königlichen oder fürstlichen Menagerien zu öffentlichen Zoos. Auch die zunehmend enge Verbindung von Zoo und Museum wird durch den kontinuierlichen Zuwachs von Tieren aus dem Zoologischen Garten bei gleichzeitigem Rückgang privater Zusendungen in den darauffolgenden Jahren ersichtlich.
Die Tagebücher Friedrich Beyers bieten uns also nicht allein einen Fundus an Objektgeschichten wie der des ‘Löwen-Tigers’. Sie gewähren zudem Einblicke in die Vorgehensweisen der Tierpräparation und ihrer Ausstellung sowie in die institutionellen Verflechtungen und Netzwerke des Objekttransfers.