Füttern und Überfüttern

Story Wer (über)füttert im Zoo?

Zeitungsausschnitt. Foto: Elefant mit Stoßzähnen im Gehege, der von Pfleger am Ohr berührt wird. Titel: Überfüttert! Berlins wertvollster Elefant in Todesgefahr. Ab heute: Besuchern ist das Füttern im Zoo verboten.

Schlagzeile der Bild-Zeitung zur Überfütterungsfrage anlässlich der Erkrankung von “Jambo”, 31.03.1960.

Während der Zoo und die Stadt Berlin in den 1940er Jahren große Probleme hatten, ihre Bewohner:innen zu ernähren, hatte sich die Situation Ende der 1950er Jahre weitgehend normalisiert.1 Ja, in mancher Hinsicht verkehrte sie sich sogar. In der Zeit von Wirtschaftswunder und Wachstumsboom fütterten die Zoobesucher:innen die Tiere im Berliner Zoo wieder ganz nach Belieben, und zwar so ausgiebig, dass 1960 der afrikanische Elefant “Jambo” nach oder vielmehr infolge der Fütterung durch Zoobesucher:innen erkrankte.

Die Elefantenkuh erlitt eine schwere Bauchfellentzündung und einen Riss im Dünndarm, der durch eine Verstopfung ausgelöst wurde. Nachdem man vierzehn Tage lang ohne Erfolg versucht hatte “Jambo” zu retten, entschloss sich der Zoo, das Tier einzuschläfern. Der Vorfall war kein Einzelfall: In den Zoologischen Gärten in Antwerpen, Hamburg, Frankfurt, Stuttgart und Gelsenkirchen waren in den Jahren zuvor bereits Elefanten durch falsches oder übermäßiges Füttern verendet. In Berlin starben allein 1961 ein Pavian, ein Bunttukan, ein wertvoller Kranich und zwei Hirsche infolge von Überfütterung.

Was folgte, war eine kontroverse Debatte über die richtige Ernährung (und Behandlung) von Zootieren, die innerhalb und außerhalb der Zoos geführt wurde. Die Frage reicht bis zu den Anfängen zoologischer Gärten im 19. Jahrhundert zurück. Wie stand es damals überhaupt um das Wissen über die richtige Ernährung von Zootieren?

Futterweisen und Futterwissen

Für die Ernährung der Tiere wurden in den Zoos in Deutschland und anderswo ab dem 19. Jahrhundert Futterküchen eingerichtet, für die Futtermeister, häufig beraten durch Veterinärmediziner, zuständig waren.2 Im Aquarium Unter den Linden in Berlin war ab den 1880er Jahren eigens ein ‘Küchenmeister’ angestellt und der Frankfurter Zoo richtete bereits 1875 eine eigene Futterküche ein. Diese lag allerdings noch außerhalb des Zoogeländes; inzwischen sind die Küchen dagegen üblicherweise in den Komplex des Wirtschaftshofs integriert.

Schwarz-weiß Foto: Gepflasterter, breiter Weg, links und rechts Gebäude, im Hintergrund Bäume. Auf dem Weg steht links ein Mann neben einer Kutsche, rechts und weiter hinten stehen Karren und Arbeitsgeräte.

Der Wirtschaftshof im Berliner Zoo um 1930, am Rand des Geländes gelegen, wo unter anderem das Futter für die Tiere angebaut, gelagert und zubereitet wurde. (AZGB. Alle Rechte vorbehalten.)

Zunächst war allerdings in den Zoologischen Gärten nur wenig über die Fressgewohnheiten der unterschiedlichen Tierarten bekannt. Zwar konnten sich die Menagerien und Zoos das Wissen der Nutztierhaltung zunutze machen, schreibt der Veterinärhistoriker Benjamin Lamp über die Geschichte der Zootiermedizin. Doch waren in zoologischen Gärten ungleich mehr Arten vertreten und es bestand nicht immer Zugang zu Informationen über die Bedürfnisse der Tiere, die von außerhalb Europas, häufig aus Kolonialgebieten, importiert wurden.3 Diese Wissenslücke lässt sich auch für die Haltung und Zucht von Haustieren und Versuchstieren beobachten, die im 19. Jahrhundert meist aus kolonialen Gebieten in die Wohnstuben, zoologischen Institute und physiologischen Labore in ganz Europa kamen. Dort versuchten Wissenschaftler:innen ebenso wie Amateurforscher:innen und Liebhaber:innen, die Tiere zu akklimatisieren, sie also in einem anderen Klima am Leben zu erhalten oder zu züchten. Die Fütterung war dabei ein wesentlicher und existenzieller Teil, was sich nicht zuletzt an den zahlreichen Artikeln und Diskussionen zum Thema in (Fach-)Zeitschriften wie “Der Zoologische Garten” ablesen lässt. Was wir heute etwa über die Ernährungsweise von Labortieren wissen, ist das Ergebnis eines längeren Prozesses. Dieses Wissen war, wie der Wissenschaftshistoriker Christian Reiß gezeigt hat, nur um den Preis zahlreicher und häufig gescheiterter Versuche zu haben.4

Da Europäer:innen im 19. Jahrhundert häufig nur vermuten konnte, wie sich Wildtiere, die bislang nur vereinzelt oder noch nie nach Europa importiert worden waren, in der freien Natur ernährten, versuchten sie, sie mit Substituten oder Futtermittelmischungen am Leben zu erhalten. Die Substitute orientierten sich häufig eher an menschlichen als an tierlichen Gewohnheiten oder Vorlieben, da es oft logistisch aufwendig und teuer war, die Tiere mit einem geeigneten Futter zu versorgen. Am Ende erhielten die meisten Tiere kalorienreiche Futterrationen, denen aber wiederum wichtige Vitamine und Mineralstoffe fehlten. Obwohl Veterinärmediziner schon früh Zusammenhänge zwischen Tierkrankheiten wie der Rachitis und der Ernährungsweise von Haus- und Zootieren beschrieben, waren bis ins 20. Jahrhundert über die Ernährung von Wildtieren in Gefangenschaft nur wenige fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen worden.5 In Frankfurt erhielten die Schimpansen noch nach dem Zweiten Weltkrieg ein Menü, in dem das “Marmeladenbrot täglich” ebenso wenig fehlte “wie das gebratene Steak”.6 Die falsche Fütterung mit zu kalorienreichen Futtermitteln führten vor allem bei Großtieren immer wieder zu gesundheitlichen Problemen.7

Gutes Füttern, schlechtes Füttern?

Die Besucher:innen der zoologischen Gärten waren von Anfang an Teil des Fütterungs-Komplexes. Seit ihrer Einrichtung war es in öffentlichen deutschen Tiergärten grundsätzlich erlaubt, die Tiere mit mitgebrachtem oder auf dem Tiergartengelände erworbenen Futter zu füttern. Das Füttern bot den Besucher:innen eine Möglichkeit zur direkten Kontaktaufnahme mit den Tieren. Das Phänomen der falschen und übermäßigen Fütterung war daher schon früh Teil und Problem zoologischer Gärten. Bereits 1872 bemerkte der Naturkundler und Schriftsteller Gustav Jäger:

“Am meisten ergötzte mich die Beharrlichkeit, mit der den Seehunden Milchbrote und Semmeln vorgeworfen wurden, so daß man oft an einem Tage einen ganzen Wassereimer voll vom Teiche abschöpfen konnte, und erst eine Tafel mit der Aufschrift: ‘Der Seehund frißt Fische und kein Brot’ war im Stande, die mehlspeisliebenden Wiener Kinder auf den Gedanken zu bringen, daß an der Küste der Ost- und Nordsee keine Milchbrote und Semmeln auf dem Wasser umherschwimmen.”8

Tatsächlich blieb getrocknetes Brot bis zum Ersten Weltkrieg eines der wichtigsten Futtermittel in Zoos. Das lag, so erklärt Benjamin Lamp, nicht zuletzt daran, dass in den Sommermonaten ein Teil der Nahrung von den Besucher:innen stammte, die häufig altes Brot mitbrachten.9 Auch die Veterinärmedizin diskutierte diese Probleme schon früh. 1925 notierte ein Tierarzt in der Tierärztlichen Rundschau: “In letzter Zeit sind es hauptsächlich Magen- und Darmerkrankungen, von denen die Tiere heimgesucht werden: hier spricht aber eine Futterschädigung mit, die durch die Fütterung der Besucher des Zoo[s] verursacht wird.” An den großen Mengen, die die Tiere nicht vertragen, würden sie “oft erkranken und leider auch eingehen. Wir sind gegen diese Gewohnheiten des Publikums machtlos, das in unverständlicher Weise oft verdorbene Nahrungsmittel […] in die Käfige wirft – nur, um die Aufmerksamkeit der Tiere auf sich zu lenken”.10

Wie und was die Besucher:innen fütterten, war dabei nicht nur von persönlichen Vorlieben, sondern ebenso von den jeweiligen politischen, ökonomischen und sozialen Kontexten abhängig. Insbesondere spielte eine Rolle, wie viel die Menschen selbst zur Verfügung hatten. Vor dem Krieg sei, wie Katharina Heinroth erinnerte, “den Lieblingen der Berliner Zoobesucher so viel an Süßigkeiten und Kuchen zugesteckt [worden], daß wir eine Menge Fälle von Darmerkrankungen hatten”.11 Für die Zeit unmittelbar nach dem Krieg wünschte sie sich dagegen mehr fütternde Besucher:innen. In diesen Jahren wurden die Gaben an Zootiere in der Presse häufig als symbolische Geste des Teilens in Wort und Bild gesetzt.

Zeitungsausschnitt. Titel: Man kann wieder in den Zoo! Illustration: fünf Personen vor Gehege. Eine legt etwas auf die ausgestreckte Hand eines Affen.

Die Tägliche Rundschau präsentiert das Füttern der Tiere als Akt des Teilens im Zoo der Nachkriegszeit, 03.07.1946.

Auch die Briefe von Besucher:innen an den Zoo zeigen, dass viele das Füttern der Tiere nicht nur als praktische Notwendigkeit, sondern als eine Form der Fürsorge empfanden. Während in den ersten Nachkriegsjahren das Füttern zum solidarischen Akt mit dem Zoo und seinen Tieren avancierte und für manche Tiere sogar lebensrettend gewesen sein mag, kehrte die Gefahr der Überfütterung in den 1950er Jahre mit voller Macht zurück.


  1. Die Gemüsebeete verschwanden bereits ab 1950 wieder aus dem Zoo: “Wir haben ja allerhand vor für das Frühjahr; die Gärtelei soll jetzt aufhören, denn die Ernährungsverhältnisse hier in Berlin haben sich ja für die Bevölkerung grundlegend gebessert, so dass man jetzt wieder Gemüse auf den Märkten zu kaufen bekommt. Wir können also nun wieder im Garten unsere Anlagen sehr schön herrichten.” K. Heinroth an U. Bergman, 07.03.1950, AZGB N 4/12.
  2. Vorhandene Quellen belegen ausschließlich männliche Personen in diesen Berufen.
  3. Vgl. Benjamin Lamp. Entwicklung der Zootiermedizin im deutschsprachigen Raum. Giessen: VVB Laufersweiler, 2009: 160. Hinzu kam, dass die passende Nahrung wegen eingeschränkter Transportmöglichkeiten oder mangelnden Kühltechniken nicht immer zur Verfügung stand, so dass die Tiere an Ersatznahrung gewöhnt werden mussten.
  4. Christian Reiß. “Wie die Zoologie das Füttern lernte: Die Ernährung von Tieren in der Zoologie im 19. Jahrhundert”. Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 35, Nr. 4 (2012): 286-299. https://doi.org/10.1002/bewi.201201586. Vgl. auch Mareike Vennen. Das Aquarium: Praktiken, Techniken und Medien der Wissensproduktion (1840-1910). Berlin: Wallstein, 2018.
  5. Vgl. etwa Moritz Friedrich Röll. “Die Knochenweiche (Rachitis)”. In Lehrbuch der Pathologie und Therapie der Hausthiere. Moritz Friedrich Röll (Hg.). Wien: Braumüller, 1860: 85; Walter Butler Cheadle. Rickets: A System of Medicine, Thomas Clifford Allbutt (Hg.), Bd. 4, London: 1897: 108-146. Siehe hierzu auch Lamp, 2009: 160.
  6. Vgl. Christoph Scherpner. Von Bürgern für Bürger: 125 Jahre Zoologischer Garten Frankfurt am Main. Frankfurt a.M.: Zoologischer Garten, 1983: 126.
  7. Bei Elefanten resultierten aus einem zu hohen Körpergewicht zusammen mit ungeeigneten Bodenbelägen häufig pathologische Veränderungen der Fußsohlen und Nägel. Gleichzeitig gefährdete die Adipositas der Zuchtbullen eine erfolgreiche Nachzucht. Die Situation änderte sich sukzessive, als sich die Tiermedizin weiterentwickelte und die sich etablierenden großen Tierhandlungen wie Hagenbeck oder Ruhe sich das Wissen der Tierfänger aneigneten, so dass man sich bei der Fütterung mehr an den Bedürfnissen der Tiere zu orientieren und ihre Ernährungsgewohnheiten in ihren natürlichen Lebensräumen zu berücksichtigen begann.
  8. Gustav Jäger. Skizzen aus dem Thiergarten. Leipzig: Baensch, 1872: 242.
  9. Lamp, 2009: 161-162.
  10. E. Kallmann. “Die Krankheiten der Tiere im Zoologischen Garten in Berlin”. Tierärztliche Rundschau 28 (12.07.1925): 482-484.
  11. Daniel de Luce. “Lebensmittelkarte 5 im Berliner Zoo.” Tägliche Rundschau, 17.12.1946. Für weitere Beispiele von Tieren, die im Berliner Zoo um 1930 infolge Überfütterung erkrankten oder starben vgl. auch “Füttern verboten! Beobachtungen im Zoo”. Steglitzer Anzeiger, 24.07.1930.
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